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Riga

Alte Lieder und neue Geschichte

Stadtlandschaft von Riga bei rotem Sonnenaufgang, im Fokus zwei Kirchtürme mit umherfliegendem Vogelschwarm© Romija, Shutterstock · Riga, eine Stadt ist erwacht

Riga wurde lange als Kulturstadt übersehen. Heute zeigt die baltische Metropole mit neuem Selbstbewusstsein, was in ihr steckt: modern, traditionsbewusst, voller kreativer Energie.

Lea Katharina Nagel, vom 10.10.2024

2014 war Riga europäische Kulturhauptstadt Europas. Die lettische Hauptstadt und größte Metropolregion des Baltikums hat dadurch neuen Schub bekommen: Endlich konnte man ganz Europa den Stolz zeigen, der nach Jahren der deutschen und russischen Fremdherrschaft im Unabhängigkeitsjahr 1990 förmlich explodierte. Obwohl die Anfangsjahre als eigener Staat wirtschaftlich schwierig waren, kämpfte man für eine angemessene äußere Repräsentation. Zahlreiche Gebäude wurden renoviert und erstrahlen in neuem Glanz. Rigas Altstadt, mit ganzen 750 Jugenstilbauten an der Zahl, gleicht einem Architekturmuseum, das 1997 von der UNESCO als Welterbe ausgezeichnet wurde. Blick von oben auf die bunte Altstadt von Riga© RossHelen, Shutterstock

Neuer Schwung für neue Projekte

2014 wurde nun also die Bühne für Riga eröffnet: Der Euro kam und die lettische Kultur wurde in einer Intensität gelebt, die selbst jahrelangen Rigaern bis heute in Erinnerung geblieben ist. Ja, man kann mithalten mit anderen europäischen Metropolen wie Paris, Wien oder Brüssel. Und trotz Wirtschaftskrise 2009 realisierte man rund um das Jubiläumsjahr 2014 einige große Infrastrukturprojekte, die sinnbildlich für das neue nationale Selbstbewusstsein stehen: Neben einem neuen Zentrum für zeitgenössische Kunst, dem Konzertsaal Riga - Heimat des Lettischen Nationalen Symphonieorchesters - ist in diesem Zuge auch die Neue Lettische Nationalbibliothek entstanden.

Blick auf die neue, moderne lettische Nationalbibliothek bei Sonnenuntergang vor den Ufern des Flusses Daugava. Bibliothek ist architektonisch wie eine Welle aufgebaut© Viesturs Jugs, Shutterstock

Die Neue Lettische Nationalbibliothek

Sie ist das moderne Wahrzeichen der Stadt. Für den Bau am linken Ufer der Düna wurde der in Riga geborene US-amerikanische Architekt Gunnar Birkerts beauftragt. Die Kosten des 13-stöckigen Baus beliefen sich auf ganze 193 Mio. Euro, am Eröffnungstag bildeten Tausende Menschen bei eisiger Kälte eine Kette und reichten gespendete Lieblingsbücher über eine Strecke von zwei km von Hand zu Hand – dem Weg von der Alten zur Neuen Nationalbibliothek. Es war es all die Kosten und Mühen wert, Buchrücken an Buchrücken werden sie heute in einer gigantischen gläsernen "Welle" aufbewahrt. Der Bau ist eine Liebeserklärung an die eigene Kultur. Heute finden hier viele Veranstaltungen statt und Führungen bieten die Möglichkeit ganz nach oben zu gelangen, von wo aus man einen herrlichen Panoramablick auf die Altstadt hat.

Kreativer und urbaner Höhenflug

Knapp 10 Jahre nach dem pompösen Ereignisjahr, ist die Aufbruchsenergie teilweise noch spürbar, die Ergebnisse internationaler Aufmerksamkeit sichtbar. Modernes und Kreatives ist gewachsen, Leerstand und vereinsamte Stadtviertel wurden dem Leben geöffnet, das heute hier stattfindet. Projekte wie das Kanepe Kulturzentrum, die Speicherstadt oder alte Tabakfabrik wurden teilweise im Rahmen des Projektes "empty spaces" vom Goethe Institut initiativ und inhaltlich gefördert. Riga bekam Input und Unterstützung von Europa um urbane Visionen und Zukunftsaussichten realisieren zu können. An den neu entstandenen Orten sind alternative Bars, Cafés, Theater und Event-Locations untergebracht, die insbesondere von der jungen Stadtbevölkerung genutzt werden. Mehr und mehr findet man Sicherheit in der jungen Unabhängigkeit und definiert eine eigene kulturelle Größe. Mann und Frau fliegen in einem Zweiersitz von Karussell in der Luft vor blauem Himmel© Edijs K, Shutterstock

Alte Lieder und neue Identität

Sowohl was den urbanen Raum betrifft als auch die Einstellung der Menschen: Diese Größe fußt nicht nur im Schaffen von Neuem, sondern auch in Traditionen und dem Bewahren identitätsprägender Wurzeln. Und was könnte dafür ein schöneres Beispiel sein als die Dainas: Auf die kurzen, meist nicht länger als vier Zeilen langen Lieder ist man stolz in Lettland, denn in Jahren der Fremdbestimmung boten sie die Möglichkeit eigene Mythologie und Kultur mündlich zu überliefern. Als Vater der Dainas und gewissermaßen nationaler Held wird dabei Krišjānis Barons verehrt. Der Intellektuelle sammelte in den Jahren zwischen 1894 und 1915 insgesamt 217.996 der kurzen Gesangstexte und überlieferte sie gebündelt in sechs Bänden der Nachwelt. Dem lettischen Liederschatz wird alle fünf Jahre beim großen Rigaer Lieder- und Volkstanzfest gefrönt. Ein Event, das zehntausende Menschen aus In- und Ausland anlockt.

Riga ist eine zeitlose Stadt mit unverwechselbarem Charakter. Man ist vergangenheitsverliebt, blickt und denkt nach vorne und lebt doch im Augenblick. Rechts und links der Daugava ist der Puls im Sommer vibrierend, im Winter still.

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