- Magazin
- Reportagen
- Jakarta: Eine Stadt im Untergang
Jakarta
Jakarta: Eine Stadt im Untergang
Indonesien gehört zu den Ländern, die besonders stark von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind – allen voran die gigantische Metropole Jakarta. Präsident Joko Widodo arbeitet an einem umstrittenen Megaprojekt: Der Umzug von Millionen steht an.
Lea Katharina Nagel, vom 09.10.2024
Jakarta: Eine Stadt im Untergang
Es gibt viele große und begehrte Küstenregionen auf dieser Welt. Mumbai, Tokio, Venedig, New York, die Malediven. Mit 34 Millionen Menschen in der Metropolregion und zehn Millionen im Zentrum, gehört Jakarta zu den am dichtesten bevölkertsten unter ihnen. Es ist eine Stadt, in der das Leben ohnehin kein Zuckerschlecken ist: Sie ist überfüllt, arm, erheblich mit Smog belastet und einer der sogenannten "Verlierer" des Klimawandels. Die Zukunft sieht düster aus: Jakarta wird in den kommenden Jahrzenten langsam, aber sicher, untergehen.
Was sich wie Science Fiction anhört, ist bittere Realität. Schon heute sackt der Erdboden stellenweise jährlich um bis zu 25cm ab. Gleichzeitig führt das Schmelzen der Pole zu einem Durchschnittsanstieg des Meeresspiegels um zwei bis drei mm pro Jahr. Auf einem herkömmlichen Lineal ein winziger Wert, doch für Küstenregionen bedeutet er ein Tanz auf Messers-Schneide. Jakarta betreffend liegen in 20 Jahren 80% der Stadtfläche unterhalb der Sealevel-Grenze.
Eine Megacity kämpft gegen den Klimawandel
Hinzukommend werden Niederschläge, Wetterextreme und der jährlich zirkulierende Monsunregen intensiver. Sturmfluten nehmen zu. Schon seit Jahren wird die Hauptstadt regelmäßig von massiven Überschwemmungen heimgesucht. Besonders in Erinnerung geblieben ist das Jahr 2007: Über die Hälfte der Stadtteile, schätzungsweise 70.000 Häuser, fielen enormen Wassermassen zum Opfer. Die Bedrohungen schleichen sich von vielen Seiten an und der Mensch ist dabei nicht ganz unschuldig:
Seit den 90er Jahren hat sich die Bevölkerung Jakartas nahezu verdoppelt. Heute platzt sie buchstäblich aus allen Nähten. Um Lebensraum für die zuströmenden Massen zu schaffen, handelte man in der Vergangenheit nicht unbedingt nachhaltig. Massive Rodungen und in der Folge Flächenversiegelungen im Umkreis der Megacity zerstörten natürliche Überschwemmungsflächen. Die "Schwamm-Funktion" des Bodens, die insbesondere während der Monsun-Zeit Stauungen und Überschwemmungen verhindern sollte, wurde zerstört.
© iniaz, Shutterstock
Auf der Suche nach Lösungen
Die technisch eingeleiteten Maßnahmen scheitern immer wieder: Das Kanalsystem ist häufig überlastet oder durch Müll verstopft. Schützende Dämme, die gebaut wurden, um die Wasserfluten zu kontrollieren, sind oft nur ein kurzfristiger Schutz und langfristig wenig hilfreich. Das gesamte System ist instabil geworden und braucht dringend umfassende Lösungen – möglichst rasch, nachhaltig und kostengünstig. Mit diesem apokalyptischen Szenario im Rücken, gerieten Politik und regierende Verantwortliche zunehmend in die Bredouille. Gemeinsam mit Wissenschaftlern sondierte man Möglichkeiten, die von einem Zukauf neuer Inseln bis zu hochmodernen Infrastrukturprojekten reichten. Die meisten Pläne scheiterten an ihrer technischen, ökologischen und wirtschaftlichen Umsetzbarkeit.
Hoffnung: Nusantara
Seit 2019 drangen neue Gerüchte nach außen. In einer Regierungsansprache Anfang des Jahres 2022 wurden sie bestätigt: Jakarta wird de facto verlegt und eine neue Hauptstadt mit dem Namen Nusantara entsteht. Eine aberwitzige Idee? Das Vorhaben ist im Osten der Insel Borneo bereits in vollem Gange. Im Sommer 2024 tagte die indonesische Regierung erstmalig in ihr, die offizielle Einweihung wurde jedoch in die Zukunft verschoben. In einem Brettspiel würde das Vorhaben Widodos bedeuten, alle Spielfiguren zu nehmen und sie von A nach B zu verpflanzen. Leider ist die Realität kein Spiel. Der Umzug von Hunderttausenden bis zwei Millionen Menschen, Krankenhäusern, Unternehmen etc. gleicht einem Mammutprojekt, dessen Ausmaße die Grenzen des Vorstellbaren berühren und Fragen aufwerfen: Was wird beispielsweise aus Ladenbesitzern und ihrer wirtschaftlichen Existenz? Neben der Logistik wird auch der Verwaltungsaufwand unüberschaubar groß werden. In der Tat, für einen solchen Entschluss braucht es Mut.
© Risdian_top, Shutterstock
Ein weiterer schmerzlicher Punkt ist: Insbesondere arme und sozial benachteiligte Menschen sowie die Anliegen tausender Slum-Bewohner im heutigen Jakarta werden mit der Hauptstadt wohl untergehen. Das Leben in Nusantara - so munkelt man - wird einer Oberschicht vorbehalten sein. Die soziale Herausforderung für Indonesiens Präsidenten Joko Widodo ist es, den Menschen eine Lobby zu geben, die keine haben, denn auch die Bewohner auf Borneo fürchten um ihr Farmland. Heute schon wurden für die neue Planstadt tausende Hektar Regenwald gerodet. Ökologisch betrachtet ein Desaster, dessen Konsequenzen die Zukunft zeigen wird.