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Amsterdam

Amsterdam und Overtourism

Eine touristische Straße in Amsterdam mit Touristenmassen im Vordergrund© Serhii_Tesliuk_Tesla, Shutterstock · Amsterdam ist und bleibt ein beliebtes Städtereiseziel – zum Leidwesen vieler Anwohner

Als erste Stadt weltweit erließ Amsterdam 2021 eine Obergrenze für touristische Übernachtungen – aber gleichzeitig auch eine Untergrenze. Die Maßnahme war eine verzweifelte Antwort auf ein Phänomen, dem man mit anderen Taktiken nicht Herr werden konnte und das immer mehr europäische Metropolen betrifft: Overtourism. Wir werfen eine Blick und zurück wagen eine Bestandsaufnahme: Hat die Maßnahme etwas bewirkt?

Digital-Redaktion - basierend auf einem Text von Solveig Michelsen, vom 24.09.2024

Overtourism ist als Schlagwort schon seit Jahren in aller Munde. Selbst die Covid-Pandemie konnte den immer weiter zunehmenden Touristenmengen in bestimmten Städten nur kurzzeitig etwas anhaben. Dabei ist die Bedeutung wesentlich umfangreicher, sind die Folgen weitaus schwerwiegender, als man bei der bloßen Definition eines "Zuviels an Touristen" vermuten würde. Dass zu viele Besucher, egal ob freundlich-zurückhaltend oder rücksichtslos-neugierig, die Nerven vieler Anwohner strapazieren können – dieser Zusammenhang ist schnell hergestellt. Doch es geht um weitaus mehr als Lärm, Müll und Menschenmassen. Etliche beklagen die "Verramschung des öffentlichen Raums", wenn die Art der Geschäfte nur noch auf die (vermeintlichen) Bedürfnisse der Touristen ausgerichtet sind. In Amsterdam waren bzw. sind vor allem die Rotlicht- und Cannabis-Touristen ein Problem, deren Anreisegründe sich nicht unbedingt mit dem Lebensstil der Anwohner vertragen. Zuvorderst aber entleert Overtourism systematisch die Innenstädte, die in Teilen nur noch als Freiluft-Museen für Besucher existieren. Die eigentlichen Anwohner sind längst geflüchtet. Wieso das?

Die Kommerzialisierung des Wohnraums

Jede 15 private Wohnung in Amsterdam wird an Touristen vermietet. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 25% in der Innenstadt Amsterdams als Ferienwohnungen genutzt werden. Vor der Covid-Ära wurden ca. 25.000 Übernachtungen im Netz gebucht, allen voran über den Anbieter Airbnb. Dieser ist mit dem Gedanken der Sharing Economy groß geworden, der Kosmopolit teilt sein Weltherz – und hüllt sich nach wie vor in dieses Gewand, obwohl unter den Profiteuren nicht wenige gerissene Immobilienhaie sind, die Wohnungen in beliebten Innenstädten aufkaufen und sie teuer weitervermieten.

Eine Studie der Universitat Autònoma in Barcelona aus dem Jahr 2021 errechnete damals, dass in der spanischen Stadt 7% der Mietsteigerungen Airbnb zu verdanken waren. Geschätzt sind es auch heute weitaus mehr Bewohner, die sich die Mieten in den Innenstädten nicht mehr leisten können und dadurch an den Rand der Stadt verdrängt werden. Ganz abgesehen davon hat sich die Infrastruktur inzwischen so den Touristen angepasst, dass zwar an allen Ecken Amsterdams Käse und Tulpen erstanden werden können, nicht aber die nötigen Lebensmittel für den täglichen Bedarf. Spät ankommende Besucher mit ihren Rollkoffern auf Kopfsteinpflaster und Junggesellenabschiede mit Touren durch die Coffee Shops tun ihr Übriges, um den Einheimischen ihre eigene Stadt zu verleiden.

Gegenmaßnahmen

Dass dagegen dringend etwas unternommen werden muss, hat man schon vor Jahren erkannt. Zu den ersten Versuchen gehörte ein juristisch heikles Verbot von Airbnb-Übernachtungen, das letztendlich aber nicht kontrolliert, ergo auch nicht durchgesetzt werden konnte. Heute ist Airbnb in drei Stadtteilen offiziell verboten. In den restlichen Vierteln dürfen private Anbieter an bis zu 30 Tagen im Jahr an vier verschiedene Personen vermieten. Wirklich kontrolliert werden kann aber auch das nicht.

Weiters dämmte man die Anzahl der Stadtführungen im Zentrum ein, im Rotlichtviertel wurden sie gar ganz verboten. Auch Läden mit reinen Touristen-Produkten, sprich, Souvenir-Ramsch, sind schon lange nicht mehr erlaubt. Ab 22 Uhr existiert ein Verkaufsverbot für Alkohol; für lärmende und flegelhafte Handlungen (z.B. Urinieren in den nächstgelegenen Garten) drohen hohe Strafen bis 20.000 Euro. Die Polizei wird von sogenannten "Hosts" bei der Überwachung unterstützt. Das alles ist notwendig geworden in einer Stadt, die für ihre Toleranz bekannt ist.

2019 brachte eine Petition von Anwohnern Bewegung in das Thema. Sie forderte eine Obergrenze von 12 Millionen Übernachtungen pro Jahr. Zur Veranschaulichung: 2005 waren noch 11 Millionen Gäste nach Amsterdam gekommen, 2019 waren es schon doppelt so viele: 22 Millionen Touristen jährlich auf - zu diesem Zeitpunkt - nicht einmal 880.000 Einwohner. Die Stimmung in der Bevölkerung war da schon längst gekippt. Den wenigen, meist ausländischen Investoren, die von den nimmer zu versiegen scheinenden Touristenmassen profitierten, stand eine Vielzahl an Bewohnern gegenüber, die von den vielen Besuchern nur eines haben: Ärger und finanzielle Mehrbelastungen.

So kam es, wie es kommen musste: 2021 wurde die Beschränkung der Übernachtungszahlen tatsächlich beschlossen, allerdings die geforderte Höchstgrenze ironischerweise auch zur Untergrenze gemacht. Sprich, die Stadt tolerierte weiterhin Übernachtungszahlen zwischen 10 und 20 Millionen pro Jahr. Sollten die Zahlen auf 12 sinken bzw. auf 18 Millionen steigen, gab es zusätzliche Maßnahmen, die in Kraft treten würden, etwa das Verbot von Junggesellenabschieden, die Einführung einer Touristensteuer oder das Verbot von privater Vermietung (mit bereits erwähnten Hürden). Ein angekündigtes Coffee-Shop-Verbot für nicht im Inland Ansässige wurde zwar bis heute nicht durchgesetzt, allerdings ist der Cannabis-Konsum in der Altstadt von Amsterdam seit Mai 2023 nicht mehr erlaubt.

Lösungen und der jetzige Stand

Nicht nur Amsterdam strebte bzw. strebt eine Entzerrung der Hotspots an. So will Barcelona etwa bis Ende 2028 die Vermietung von Ferienwohnungen ganz abschaffen. Es gilt, die Grenzen der für Touristen interessanten Innenstädte, auf die sich vieles konzentriert, auszudehnen, um die Besucher besser zu verteilen. Der Typ des "New Urban Tourist" kommt diesem Ansinnen sehr entgegen: Viele junge und junggebliebene Menschen sind ohnehin auf der Suche nach einem authentischen Stadterlebnis abseits der "Touri-Highlights". Dazu gehören auch Begegnungen mit Einheimischen, die an anderen Orten anzutreffen sind als das Gros der Besucher. Genau darauf zielen einige Programme zur Besucherlenkung ab, wie es Dänemark mit "Meet the Danish" (Einheimische laden Besucher zu sich nach Hause ein) oder Island mit den "Stopover Buddies" (eine Aktion von Iceland Air von 2016, um Touristen auch weniger bekannte Seiten des Landes nahe zu bringen) vorgemacht haben.

Unlängst hat Amsterdam außerdem die Touristensteuer auf 12,5% erhöht. Das hat dazu beigetragen, die Anzahl der Touristenübernachtungen zu stabilisieren und leicht zu reduzieren: Etwa 10 Millionen Touristen werden 2024 in der Stadt erwartet. Durch die erhöhte Steuer wurden außerdem zusätzliche Einnahmen generiert, die wiederum genutzt werden können, um in soziale Projekte, die städtische Infrastruktur und den Erhalt von Kulturdenkmälern zu investieren.

Doch auch wenn heute Zandvoort unter "Amsterdam Beach" beworben oder Amstelveen als "Amsterdam Forest" bezeichnet werden kann, sind es vor allem die Besucher selbst, die viel dazu beitragen können, dass sich die Lage weiter entspannt. Wer Wert auf authentische Begegnungen legt und ein wenig Abenteuergeist mitbringt, nutzt ohnehin Couchsurfing. Dem Rest sei eine charmante Frühstückspension statt einem Airbnb-Aufenthalt empfohlen – auch hier finden (anders als in anonymen Hotelketten) echte Begegnungen statt und man bekommt Einblick in einen Lebensstil, der weitaus mehr über eine Kultur verrät als der Reiseführer. Und weil Amsterdam mit mehr Fahrrädern als Einwohnern die unumstrittene Weltfahrradhauptstadt ist, sollte man es den Bewohnern einfach gleichtun und die vielen schmucken Grachten und Brücken mit den Drahtesel erkunden. Hollandräder sind günstig zu leihen, in der Innenstadt hat man als Radfahrer so gut wie überall Vorrang und 500 Kilometer stehen als Radweg zur Verfügung. Auch damit erweitert man seinen Radius, bewegt sich schnell über die Hotspots hinaus und traut sich, neue Routen zu erkunden: Man ist ja schnell wieder zurück. Und nicht zuletzt empfiehlt es sich im eigenen Interesse, anti-saisonal zu reisen. Wer kann, meidet Ferienzeiten und kommt in besucherschwachen Monaten wie dem November. Bleibt länger an einem Ort, anstatt eine Bucket List hektisch abzuarbeiten. Und besorgt sich einen Reiseführer, der noch mehr zu bieten hat als die touristischen Top Ten einer Stadt.

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