- Magazin
- Reportagen
- "Ich werde nicht unbedeutend bleiben"
Amsterdam
"Ich werde nicht unbedeutend bleiben"
Das Schicksal und die Person von Anne Frank stehen gestern wie heute stellvertretend für die Gräueltaten der Nationalsozialisten. Ihre Geschichte und die des weltbekannten Tagebuchs sind untrennbar mit Amsterdam verbunden.
Lea Katharina Nagel, vom 20.11.2024
Amsterdam, die Stadt der verzaubernden Grachtenidylle, der leuchtenden Tulpen und anrüchigen Coffee-Shops steht wie kaum eine andere europäische Metropole für das leichte Leben. Weltoffenheit, Diversität und Akzeptanz gehören – so könnte man sagen - zur städtischen DNA. Doch hinter all der Leichtigkeit schlummert noch die schwere Erinnerung an das tragische Schicksal von Anne Frank und vieler Anderer.
Ankunft in Amsterdam
Zwischen 1933 und 1934 emigrierte die vierköpfige Familie Frank von Frankfurt am Main in die Niederlande. Annes Vater Otto war bereits Monate zuvor nach Amsterdam gegangen, um dort die familiäre Existenz mit dem Aufbau einer Firma für Pektinhandel sicherzustellen. 1935 wird Anne in die dortige Montessori Schule eingeschult. Mit ihrem Talent für Sprache und Ausdruck und einem offenen Wesen integrierte sie sich schnell in die neue Umgebung, lernte Niederländisch und schloss Freundschaften. Als 1940 die Nationalsozialisten auch die Niederlande besetzten und die Freiheiten der Juden immer stärker beschnitten, wurde für die Familie das öffentliche Leben zunehmend riskant. Als schließlich die Deportation von Margot, Annes älterer Schwester, drohte, verstecken sie sich 1942 im Hinterhaus der Firma an der Prinsengracht 263. Gemeinsam mit vier anderen Verfolgten lebten sie von nun an eingesperrt, beengt und in ständiger Angst. Da jederzeit die Entdeckung durch die Nationalsozialisten drohte, war ein unbeschwertes Kinderleben kaum noch möglich. Annes Horizont wurde auf wenige Räume beschränkt und ihr Alltag war von Eintönigkeit geprägt.
© Darryl Brooks, Shutterstock
Das Tagebuch
Am 12. Juni 1942 wird Anne dort dreizehn Jahre alt und bekommt von ihren Eltern ein Poesiealbum mit rotweiß-kariertem Einband geschenkt. Obwohl das Geschenk keine Überraschung war - denn sie durfte es sich zuvor aussuchen - freute sie sich sehr über die vielen leeren Seiten. Endlich konnten Gedanken und Gefühle mitgeteilt und Zukunftsträume gesponnen werden. Noch am Tag ihres Geburtstags schrieb sie: Ich werde, hoffe ich, dir alles anvertrauen können, wie ich es noch bei niemandem gekonnt habe, und ich hoffe, du wirst mir eine große Stütze sein.
Das Tagebuch eröffnete dem jungen Mädchen das Tor in eine andere Welt. Anne formulierte nicht nur Gedanken, sondern teilte sich dort auch vielen (imaginären) Freunden und Freundinnen mit. Im Austausch mit einem (fiktiven) Freundeskreis aus u.a. Lou, Conny, Marjan und Emmy wurde die Einsamkeit und Isolation an der Prinsengracht erträglich. Kreativ und persönlich pflegte sie zu jeder der Personen eine eigene Beziehung, versah sie mit Charakter. Ihre liebste Freundin war Kitty, an die sie die meisten ihrer Briefe richtete. Retrospektiv kann man Kitty als eine Figur zeichnen, die lustig, frech und fröhlich war und vermutlich aus der Buchreihe Joop ter Heul stammt.
Annes letzter Tagebucheintrag stammt vom 01. August 1944, drei Tage später wird die Familie verhaftet. Am 3. September werden sie in ihr grausames Schicksal nach Ausschwitz geführt.
© Jacqueline van Kerkhof, Shutterstock
Die Erinnerung
Das einst unscheinbare Hinterhaus an der Prinsengracht, in dem Anne und ihre Familie lebten, heißt heute Anne Frank Haus und ist Museum, Non-Profit Organisation und Bildungsinstitut in einem. Mit der Mission, ihr Schicksal zu erzählen, wird eine umfangreiche Sammlung an Dokumentationsmaterial didaktisch ansprechend präsentiert: Ihr Leben, aber auch das von vielen anderen Verfolgten während der NS-Zeit in Amsterdam, soll nicht vergessen werden. So erinnern viele Orte wie die Anne Frank Schule, das jüdische Viertel, das Mahnmal in der Hollandse Schouwburg oder das Mural von Streetart-Künstler Eduardo Kobra an der NDSM-Werft an Leben und Leiden in dieser dunklen Periode Amsterdams. "Ich werde nicht unbedeutend bleiben" schrieb sie einst und hatte damit recht.