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Ecuador
Vilcabamba: Wo das Leben länger lacht
Magie, gesunder Lebensstil oder geschicktes Marketing? Das ecuadorianische Dorf Vilcabamba zieht seit Jahrzehnten mit Mythen um ewige Jugend und außergewöhnliche Langlebigkeit Wissenschaftler, Journalisten und Touristen in seinen Bann.
Lea Katharina Nagel, vom 26.11.2024
Der Mythos rund um ein Dorf
Unweit der Stadt Loja, im äußersten Süden Ecuadors, liegt ein Hochtal, das schon seit Jahrzehnten internationale Öffentlichkeit anzieht: In Vilcabamba, dem sogenannten Tal der Hundertjährigen, soll man bis zu 127 Jahre alt werden können. Umgeben von saftig grünen Hügeln und den mächtigen Anden, scheint der Ort wie aus der Zeit gefallen. Die rund 4.700 Bewohner genießen ein mildes Klima – ganzjährig zwischen 18 und 28 Grad Celsius –, das zusammen mit der üppigen Natur wie geschaffen scheint für ein ruhiges, langes Leben. Grüne Felder, bunte Wildblumen und kleine, die Landschaft durchfließende Bäche wirken fast kitschig märchenhaft und so hat die entspannte Atmosphäre über die Jahre Aussteiger und ehemalige Hippies angezogen. Die Mischung aus Einheimischen und Zugezogenen verleiht dem Ort einen Hauch von Nostalgie, obwohl Vilcabambas Popularität nicht nur der malerischen Umgebung zu verdanken ist. Außergewöhnlich ist hier an erster Stelle die erstaunliche Langlebigkeit der Bewohnerinnen. Seit vielen Jahren hört man: Die Einwohner werden überdurchschnittlich alt und so sollen 100-, 110- und sogar 127-jährigen Bewohner keine Seltenheit sein. Dieser Mythos hat das verschlafene Örtchen mittlerweile weltberühmt gemacht und diente als Futter von Büchern, Reportagen und war sogar Teil wissenschaftlicher Untersuchungen, denn: Die Sehnsucht nach einem langen, gesunden Leben scheint hier wahr zu werden.
Natürlich suchte man in der Vergangenheit intensiv nach dem einen Geheimnis und auf diese Weise entstanden mitunter skurrile Erklärungen. Die einen sprechen von der Kraft des Quellwassers, andere von der negativen Ionenladung der Luft, einige esoterische Strömungen vermuten hier das Herz der Erde und wieder andere glauben an die vitalisierende Energie eines besonderen Lebensstils – der sei geprägt von Fröhlichkeit, einer intensiven Verbindung mit der Natur, dem Selbstanbau von Gemüse, dem hohen Stellenwert von Gemeinschaft, sowie kaum Kriminalität, Lüge oder Betrug im Alltag. In Summe also einem Leben in Frieden und Harmonie.
Doch nicht alle Forscher und Journalisten sind überzeugt, dass in Vilcabamba tatsächlich ein besonderes "Lebenselixier" existiert. Die Wissenschaftler Mazess und Mathisen führten in den 1980er Jahren eine Studie durch, um die Lebenserwartung der Einwohner mit der eines durchschnittlichen US-Amerikaners zu vergleichen. Dabei stellten sie fest, dass die hohen Altersangaben der Bewohner oft nicht sehr zuverlässig waren – einige hatten bei ihrem Alter mal sieben, mal neun oder bis zu 20 Jahre „aufgeschlagen“. Das wiederum legt nahe, dass der Mythos vom überdurchschnittlich langen Leben in Vilcabamba weniger mit biochemischen oder energetischen Faktoren liegt, sondern suggeriert vielmehr einen geschickten Umgang mit Zahlen und Geburtsurkunden.
© Glenn R. Specht-grs photo, Shutterstock
Die Marke Vilcabamba
Und so boomte in den letzten Jahren das Geschäft rund um Klein-Vilcabamba. Die romantische Vorstellung eines Ortes der ewigen Jugend hat zu Touristenströmen geführt und ein florierendes Geschäftsmodell geboren – längst ist er zu einer fixen Marke geworden: Die Straßen sind voll von Plakaten und Werbung, die das "Geheimnis der Hundertjährigen" anpreisen, Cafés und Geschäfte bieten handgerollte Zigaretten an, die angeblich auch in hohem Alter noch genossen werden können, ohne der Gesundheit zu schaden. Lokale Produkte, Gesundheitskurse und "Langlebigkeits-Touren" sind zu einem wichtigen Wirtschaftszweig der Region geworden. Das Gute ist: Viele der älteren Bewohner profitieren von dem Hype und finden im regen Besucherstrom die Möglichkeit, ein kleines Einkommen zu erzielen. Doch der zunehmende Tourismus und die Anpassung hat natürlich auch seine Schattenseiten. Die steigende Bekanntheit gefährdet mehr und mehr die kulturelle Authentizität und die traditionelle Lebensweise – und so ist Vilcambamba wie viele Orte auf der Welt ein weiteres Beispiel dafür, wie schwierig die Balance zwischen Ursprünglichkeit und touristischer Attraktivität ist. Bleibt auch hier zu hoffen, dass dem wirtschaftlichen Gedanken nicht gänzlich das Feld überlassen wird.